I. Einleitung
In der Unternehmenspraxis ist es nicht unüblich, dass der Gesellschafter seiner Gesellschaft zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen ein Darlehen gewährt. Solche Gesellschafterdarlehen beinhalten oftmals eine sogenannte qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarung. Durch diese soll vermieden werden, dass eben dieses Gesellschafterdarlehen zur Begründung der Insolvenzreife im Sinne der §§ 17 ff. InsO führt. Die Insolvenzgründe nach § 17 InsO und § 19 InsO hatten wir bereits ausführlich in unserem Blog-Beitrag vom 23.05.2024 thematisiert, zu dem Sie hier gelangen.
Im Hinblick auf die Rangrücktrittserklärung des Darlehensgebers, der oftmals der Gesellschafter / Finanzierer des Unternehmens ist, stellt sich die Frage, ob diese ausreichend ist, um den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu verhindern oder zu beseitigen, oder, ob es nicht zusätzlich einer Stundung der Darlehensforderung durch den Gesellschafter bedarf. In diesem Beitrag befassen wir uns mit der Frage der Abgrenzung der Rangrücktrittsvereinbarung und der Stundung. Insbesondere gilt es zu klären, welche Auswirkungen die Rangrücktrittserklärung sowie die Stundung auf die Fälligkeit einer Forderung haben und welches der beiden Rechtskonstrukte das adäquate Mittel zur Verhinderung oder Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung ist.
Bezüglich der Fälligkeit einer Forderung ist zu Beginn und aus Gründen der Klarstellung darauf hinzuweisen, dass es bei der Beurteilung der Fälligkeit im zivilrechtlichen Sinn und im insolvenzrechtlichen Sinn Unterschiede gibt. Die Fälligkeit einer Forderung nach § 271 Abs. 1 BGB führt nicht ohne Weiteres zu einer Fälligkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. Damit ist eine nach zivilrechtlichen Vorschriften fällige Forderung nicht zwangsläufig auch im insolvenzrechtlichen Sinn als fällig zu betrachten (BGH, Beschluss vom 19.07.2007 – IX ZB 36/07, NZI 2007, 579, Rn. 18). Eine Forderung ist regelmäßig dann fällig im Sinne des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO, wenn sich aus einer Gläubigerhandlung der Wille ergibt, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 19). Für die insolvenzrechtliche Fälligkeit ist also erforderlich, dass der Gläubiger diese ernstlich einfordert (vgl. Uhlenbruck/Mock, InsO § 17 Rn. 113). Nicht notwendig hierzu ist es, dass der Gläubiger den Schuldner mahnt oder sogar die Forderung einklagt. Die Übersendung der Rechnung mit einem Fälligkeitsdatum ist völlig ausreichend.
II. Der Rangrücktritt
1. Grundsätzliches
Die an eine wirksame Rangrücktrittsvereinbarung gestellten Anforderungen werden von § 39 Abs. 2 InsO nicht konkretisiert. Gläubiger kann jeder Gesellschafter oder Dritte sein, also auch Nichtgesellschafter (BeckOK InsR/Prosteder/Dachner, InsO § 39 Rn. 111, vgl. BGH, Urteil vom 05.03.2015 – IX ZR 133/14, NZG 2015. 1121, Rn.14).
Bei einem Rangrücktritt vereinbaren Gläubiger und Schuldner, dass der Gläubiger mit seinen Forderungen (zum Beispiel Zins- und Tilgungsforderungen aus einem gewährten Darlehen) gegenüber anderen Forderungen (anderer Gläubiger) nachrangig bedient wird.
2. Beseitigung der Überschuldung durch Rangrücktrittserklärung
Nur der sogenannte qualifizierte Rangrücktritt gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ist dazu geeignet, die Überschuldung zu verhindern (Reul/Heckschen/Wienberg/Heckschen, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, § 4 Gesellschaftsrecht, Rn. 456).
Einen qualifizierten Rangrücktritt zeichnet aus, dass der Gläubiger erklärt, im Insolvenzfall mit seiner Forderung hinter die anderen Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO zurückzutreten und nachrangig bedient zu werden (a.a.O.). Für eine qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarung i.S.v. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO muss sowohl für die Zeit vor als auch nach Verfahrenseröffnung ausgeschlossen werden, dass eine Darlehensforderung (aus Sicht der darlehensnehmenden Gesellschaft Darlehensverbindlichkeit) als Verbindlichkeit in die Überschuldungsbilanz der Gesellschaft aufgenommen wird. Der Rangrücktritt muss also explizit für den Insolvenzfall als auch für den Zeitraum vor Verfahrenseröffnung gelten (sog. vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre) (BeckOK InsR/Prosteder/Dachner, InsO § 39 Rn. 115). Der Gläubiger muss sinngemäß erklärt haben, dass er die Erfüllung seiner Forderung erst dann verlangen kann, wenn das Aktivvermögen des Schuldners reicht, und sämtliche Gesellschaftsgläubiger befriedigt sind (vgl. BGH, Urteil vom 05.03.2015 – IX ZR 133/14, NZG 2015. 1121, Rn. 17; BeckOK InsR/Prosteder/Dachner, InsO § 39 Rn. 114).
Wenn ein Rangrücktritt im Sinne von § 19 Abs. 2 S. 2 InsO erklärt wurde, hat der Gesellschafter zum Ausdruck gebracht, mit seinem Befriedigungsinteresse im Fall der finanziellen Krise der Gesellschaft hinter alle anderen Insolvenzgläubiger zurückzutreten, um so eine Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung zu vermeiden.
3. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit durch Rangrücktrittserklärung
Wenn der Rangrücktritt den Voraussetzungen (Geltung für den Zeitraum vor Verfahrenseröffnung und für den Insolvenzfall sowie Erklärung des Gläubigers, die Forderungen erst zu verlangen, wenn sämtliche Gesellschaftsgläubiger befriedigt sind) entspricht, führt dies dazu, dass die aus dem gewährten Darlehen resultierenden Verbindlichkeiten (Tilgungs- und Zinszahlungen) bei der Zahlungsfähigkeitsprüfung im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO im Finanzstatus nicht als fällige Verbindlichkeit berücksichtigt wird. Der wirksam vereinbarte Rangrücktritt führt dazu, dass die Forderung nicht fällig ist und ist daher geeignet, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Dies gilt auch dann, wenn man der Auffassung folgt, die Rangrücktrittsvereinbarung ändere nichts an der zivilrechtlichen Fälligkeit der Forderung, weil für die Fälligkeit nach § 17 Abs. 2 InsO der Wille des Gläubigers bestehen muss, die Forderung ernsthaft einzufordern. Sofern eine vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre besteht, kann dieser Wille nicht vorliegen (BeckOK InsR/Prosteder/Dachner, InsO § 39 Rn. 119). Denn bei der Rangrücktrittsvereinbarung handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter, der eine Durchsetzungssperre begründet, sodass die Fälligkeit der Forderungen im Sinne des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO entfällt (vgl. Uhlenbruck/Mock, InsO § 17 Rn. 147).
Wegen einer Forderung, für die ein qualifizierter Rangrücktritt erklärt wurde, kann daher auch bezogen auf diese Forderung kein Antrag auf Insolvenzeröffnung gestellt werden (vgl. Braun/Salm-Hoogstraeten, InsO § 17 Rn. 20).
III. Die Stundung
1. Beseitigung der Überschuldung durch Stundungsvereinbarung
Eine bereits eingetretene Überschuldung kann durch die Gewährung einer Stundung nicht beseitigt werden, da die Wirkung nur vorübergehend besteht (BeckOK InsR/Wolfer InsO § 17 Rn. 28). Mangels zusätzlicher Mittel, um andere Forderungen begleichen zu können, kann die Überschuldung nicht beseitigt werden. Sie ist daher nur im Zusammenhang mit weiteren Sanierungsmaßnahmen sinnvoll (vgl. Nerlich/Kreplin/Nerlich/Rhode, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 4 Rn. 352).
2. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit durch Stundungsvereinbarung:
Die Stundung schließt die zivilrechtliche Fälligkeit aus, sodass auch die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hierdurch wieder beseitigt werden kann (vgl. Uhlenbruck/Mock, InsO § 17 Rn. 143). Die Stundung kann ausdrücklich und konkludent geschlossen werden und muss deutlich machen, von einer Durchsetzung der Verbindlichkeit für einen gewissen Zeitraum abzusehen (vgl. Uhlenbruck/Mock, InsO § 17 Rn. 144). Die faktische Stundung reicht ebenfalls aus, da die Forderung vom Gläubiger nicht ernsthaft eingefordert wird (Nerlich/Römermann/Mönning/Gutheil, InsO § 17 Rn. 37; Gottwald/Haas/Specovius/von Wilcken, Insolvenzrechts-Handbuch, § 95 Rn. 16). An die faktische Stundung sind jedoch weitreichende Dokumentationsanforderungen zu stellen. Der Gläubiger sollte die Stundung dem Schuldner gegenüber schriftlich bestätigen.
3. Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit durch Stundungsvereinbarung:
Bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist zu prüfen, ob eine Stundung für eine Forderung, die in der Zukunft fällig wird, bereits vereinbart wurde oder ob es überwiegend wahrscheinlich ist, dass eine solche im Prognosezeitraum vereinbart wird (vgl. Uhlenbruck/Mock InsO § 18 Rn. 52). Ist eine Stundung nur für eine begrenzte Zeit vorgenommen, kann sie bei der Prognose, ob eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, zu berücksichtigen sein (Andres/Leithaus/Leithaus InsO § 18 Rn. 4).
IV. Verhältnis von Rangrücktritt und Stundung
Bei der Stundung entfällt für die Dauer ihres Bestehens der Einfluss der Forderung auf die Zahlungsunfähigkeit. Sie dient damit der Erweiterung der Zeitspanne, in der nach anderen Lösungen gesucht werden kann (vgl. Gottwald/Haas/Drukarczyk/Schöntag, Insolvenzrechts-Handbuch, Rn. 100). Durch den Rangrücktritt tritt die Forderung hinter die anderen Verbindlichkeiten zurück und wird nicht mehr in der Überschuldungsbilanz passiviert. Der Rangrücktritt führt nicht zum Erlöschen der Forderung, sondern dient der Verhinderung der Überschuldung (vgl. Gottwald/Haas/Drukarczyk/Schöntag, Insolvenzrechts-Handbuch, Rn. 101 ff.). Er führt zur Verhinderung der Geltendmachung der Forderung, diese besteht aber weiter fort. Nachdem der Rangrücktritt einen Vertrag zugunsten Dritter nach § 328 BGB darstellt, kann er nicht von den Vertragsparteien aufgehoben werden, sondern nur dann, wenn alle Gläubiger es einvernehmlich beschließen (vgl. Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 46 Rn. 110).
Die Stundung ist befristet. Eine vorherige Befristung des Rangrücktritts ist hingegen nicht möglich (vgl. Uhlenbruck/Mock InsO § 19 Rn. 188).
Die Stundung lässt bereits die Fälligkeit im zivilrechtlichen Sinne, also nach § 271 Abs. 1 BGB entfallen (vgl. Braun/Salm-Hoogstraeten, InsO, § 17 Rn. 25). Der Rangrücktritt lässt nicht die zivilrechtliche Fälligkeit entfallen, sondern, da die Forderung vom Gläubiger nicht ernsthaft eingefordert wird, die Fälligkeit im insolvenzrechtlichen Sinne gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 InsO.
V. Fazit
Im Ergebnis sind sowohl die Stundung als auch die Rangrücktrittsvereinbarung adäquate Mittel zur Beseitigung einer Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO. Denn beide lassen die Fälligkeit der Forderung (aus Sicht der Gesellschaft eine Verbindlichkeit) entfallen, sodass diese bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung im Finanzstatus nicht als fällige Verbindlichkeit zu berücksichtigen ist.
Im Hinblick auf den Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) gilt, dass nur ein qualifizierter Rangrücktritt eine Überschuldung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO verhindert. Entscheidend ist, dass der Gläubiger erklärt, seine Forderungen erst zu verlangen, wenn sämtliche Gesellschaftsgläubiger befriedigt sind, und zwar sowohl für die Zeit vor Verfahrenseröffnung erstrecken als auch danach. Der Rangrücktritt muss also auch und insbesondere im Insolvenzfall gelten. Die Gewährung einer Stundung dagegen beseitigt eine eingetretene Überschuldung nicht, da die Wirkung nur vorübergehend besteht. Der Rangrücktritt ist daher nur im Zusammenhang mit weiteren Sanierungsinstrumenten oder Bereitstellung weiterer Finanzmittel sinnvoll.